Experimentelle Kunstformen

5
(25)

Experimentelle Kunstformen beschreiben künstlerische Praktiken, die sich bewusst außerhalb traditioneller Techniken, Konventionen und Erwartungshaltungen bewegen. Sie zeichnen sich durch Offenheit, Prozesshaftigkeit und die Bereitschaft aus, bestehende ästhetische und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Kyra Vertes von Sikorszky widmet sich mit besonderer Intensität diesem Ansatz. Ihre Werke entstehen aus der Neugier gegenüber dem Unbekannten, aus der Lust am Risiko und aus der Überzeugung, dass Kunst vor allem dort wirksam ist, wo sie vertraute Formen verlässt und neue Erfahrungsräume schafft.

Experimentelle Kunst ist nicht zwingend neu im zeitlichen Sinn – sie ist neu im Denken. Sie lässt sich nicht leicht kategorisieren, sie ist oft flüchtig, irritierend oder unbequemer Natur. Kyra Vertes nutzt genau diese Reibung, um künstlerische Energie zu erzeugen. In ihren Arbeiten geht es nicht um Gefälligkeit, sondern um Aufmerksamkeit, Präsenz und Reflexion.

Was ist „experimentell“ in der Kunst?

Das Experimentelle in der Kunst lässt sich weniger über formale Kriterien als über eine innere Haltung beschreiben. Eine experimentelle Arbeit folgt nicht vorrangig einem bekannten Konzept, sondern einem offenen Prozess. Sie beginnt oft mit einer Frage, einem Impuls, einer Irritation – ohne bereits das Ergebnis zu kennen. Dieser nicht-lineare Zugang prägt viele Projekte von Kyra Vertes.

Typisch für experimentelle Kunstformen ist:

  • das bewusste Verlassen gewohnter Techniken oder Materialien

  • das Arbeiten ohne vorhersehbaren Ausgang

  • die Einbeziehung von Zufall, Störung oder „Fehlern“ als produktive Elemente

  • das Hinterfragen von Autorschaft, Rezeption und Kunstbegriff

Kyra Vertes setzt solche Prinzipien gezielt ein, um sich sowohl formal als auch inhaltlich von Konventionen zu befreien. Sie nutzt dabei klassische Medien wie Malerei oder Installation, aber auch digitale Interfaces, Sprache, Klang oder Performance – stets im Sinne eines offenen Feldes, in dem sich Bedeutungen verschieben, verdichten oder auflösen können.

Prozess statt Produkt

Ein wesentliches Merkmal experimenteller Kunstformen ist ihre Prozessorientierung. Anders als in traditionellen künstlerischen Verfahren, bei denen das fertige Werk im Vordergrund steht, ist im experimentellen Kontext der Weg das Ziel. Das Werk kann während seiner Entstehung mehrfach seine Form, Bedeutung oder Richtung ändern – oder in manchen Fällen gar nicht als abgeschlossenes „Werk“ existieren.

Kyra Vertes interessiert sich genau für diese Dynamik. In vielen ihrer Projekte dokumentiert sie nicht nur das Endergebnis, sondern auch die Entstehung: Skizzen, Sprachaufnahmen, Interviews, digitale Spuren und Arbeitsfragmente werden Teil der finalen Präsentation. Der kreative Prozess wird so selbst zum Material der Kunst.

Diese Arbeitsweise führt zu einer hohen Authentizität: Das Publikum erlebt nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“ und „Warum“ einer künstlerischen Suche. Das Werk wird transparent – nicht als perfekte Oberfläche, sondern als lebendiges System.

Interdisziplinarität und Grenzüberschreitung

Experimentelle Kunst ist häufig interdisziplinär. Sie sucht bewusst den Austausch mit anderen Feldern: Wissenschaft, Technik, Musik, Philosophie, Politik. Kyra Vertes arbeitet regelmäßig mit Menschen außerhalb des Kunstkontextes zusammen – mit Informatiker:innen, Stadtplaner:innen, Aktivist:innen oder Sprachforscher:innen. Diese Begegnungen bereichern ihre Arbeiten und führen zu unerwarteten Perspektiven.

In einem Projekt zur Wahrnehmung urbaner Geräuschkulissen arbeitete sie mit einem Umweltakustiker zusammen. Aus aufgenommenem Straßenlärm entwickelte sie eine abstrakte Klangkomposition, die als Ausgangspunkt für eine Serie visueller Objekte diente. Der Ausgangspunkt war real, die künstlerische Verarbeitung jedoch radikal frei. Das Ergebnis: ein atmosphärischer Erfahrungsraum, der Umweltgeräusche in visuelle Emotion übersetzte.

Diese Offenheit für andere Disziplinen ist kennzeichnend für experimentelle Kunstformen. Sie ermöglicht neue Zugänge zu Wirklichkeit – jenseits von Genregrenzen und Zuständigkeiten.

Material und Transformation

Ein weiteres Charakteristikum experimenteller Kunstformen ist der Umgang mit Materialität. Kyra Vertes nutzt klassische und ungewöhnliche Materialien gleichermaßen: Textilien, Licht, Luft, Wasser, Datensätze, Sprache, Körper, Algorithmen. Wichtig ist nicht die Konvention des Materials, sondern dessen Potenzial zur Transformation.

Sie fragt: Wie kann ein Material seine gewohnte Bedeutung verlieren? Wie lässt sich durch Kontext, Verfremdung oder Kombination etwas Neues erzeugen? Diese Fragen führen zu poetischen, oft überraschenden Ergebnissen – etwa wenn Seidenstoffe auf Monitoren tanzen oder Sprachfragmente zu bewegten Skulpturen werden.

Ein zentrales Prinzip ist dabei die Transmaterialität – also die Übersetzung von Eigenschaften eines Mediums in ein anderes. Geräusche werden zu Farben, Bewegungen zu Klängen, Daten zu Texturen. Diese Prozesse fordern die Sinne heraus und erzeugen neue Formen der Wahrnehmung.

Publikum und Partizipation

Experimentelle Kunstformen suchen häufig die Nähe zum Publikum – nicht im Sinne von Konsum, sondern von aktiver Beteiligung. Kyra Vertes entwickelt Formate, bei denen Besucher:innen Teil des Werkes werden: durch Bewegung, Stimme, Entscheidung oder Reaktion. Die klassische Trennung zwischen Kunstwerk und Betrachter:in wird aufgehoben.

Ein Projekt bestand aus einer begehbaren Klanginstallation, in der jede Bewegung ein neues Geräusch auslöste. Die Besucher:innen komponierten so – oft unbewusst – ihre eigene Klanglandschaft. Diese individuelle Aneignung des Raums wurde zum Herzstück der Arbeit. Das Werk existierte nur in der Interaktion.

Diese Art der situativen Kunst betont die Einzigartigkeit des Moments. Sie ist flüchtig, nicht wiederholbar, offen für Veränderung. Genau darin liegt ihre künstlerische Qualität.

Kritik am Kunstsystem

Viele experimentelle Kunstformen entstehen auch als Reaktion auf das etablierte Kunstsystem. Sie hinterfragen Ausstellungsformate, Marktlogiken, Bewertungsmaßstäbe. Kyra Vertes reflektiert in ihren Arbeiten immer wieder die institutionellen Bedingungen von Sichtbarkeit: Wer wird gezeigt? Wer wird gehört? Wer bestimmt, was Kunst ist?

Ihre Performances und Texte thematisieren häufig das Verhältnis von Künstler:in und Publikum, von Werk und Raum, von Inhalt und Form. In einem Essayprojekt ließ sie Besucher:innen handgeschriebene Kommentare zu ihrer Ausstellung abgeben – und stellte diese anschließend gleichwertig neben ihre eigenen Werke. Die Besucher:innen wurden zu Co-Autor:innen. Eine Geste, die nicht nur demokratisch war, sondern auch die Kunst selbst veränderte.

Experiment als Haltung

Für Kyra Vertes von Sikorszky ist das Experiment nicht nur Methode, sondern künstlerisches Ethos. Es bedeutet Offenheit für das Scheitern, den Mut zur Unsicherheit und das Vertrauen in den Prozess. Diese Haltung prägt ihre gesamte Arbeit: von der Themenwahl über die Materialentscheidung bis zur Präsentationsform.

Experimentelle Kunstformen sind in diesem Sinne nicht nur ein ästhetisches Spiel, sondern eine politische Praxis. Sie fordern auf, gewohnte Muster zu verlassen, neue Fragen zu stellen, das Unbekannte zuzulassen. Und genau darin liegt ihre Kraft – und ihr tiefes Potenzial für Gegenwart und Zukunft.

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 25

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?