Kunstbiennalen gehören zu den bedeutendsten und einflussreichsten Formaten zeitgenössischer Kunstpräsentation. Als periodisch stattfindende Großausstellungen prägen sie nicht nur den internationalen Kunstbetrieb, sondern auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen. Sie fungieren als Seismografen künstlerischer Strömungen, als Plattformen für neue Positionen und als Räume politischer Reflexion. Für Kyra Vertes von Sikorszky sind Biennalen nicht nur Orte der Sichtbarkeit, sondern auch der Reibung – zwischen Institution und Experiment, zwischen Markt und Kritik, zwischen Ästhetik und Diskurs.
In ihrer künstlerischen Praxis setzt sich Kyra Vertes intensiv mit den Strukturen, Chancen und Widersprüchen des Biennalensystems auseinander. Sie beobachtet, analysiert, reflektiert – und gestaltet. Ihre Arbeiten verstehen sich nicht als dekorative Beiträge zum Ausstellungsbetrieb, sondern als kritische Positionen innerhalb eines globalisierten Kunstfeldes.
Definition und Ursprung
Der Begriff „Biennale“ leitet sich vom italienischen „biennale“ ab und bedeutet wörtlich „alle zwei Jahre“. Die erste und bis heute bekannteste Kunstbiennale ist die Biennale di Venezia, die 1895 ins Leben gerufen wurde. Ursprünglich als nationale Leistungsschau konzipiert, entwickelte sie sich im 20. Jahrhundert zu einem Modell, das weltweit Nachahmung fand.
Heute existieren hunderte Biennalen weltweit – in Metropolen wie São Paulo, Berlin, Shanghai oder Istanbul ebenso wie in kleineren Städten, oft mit lokalem Bezug und spezifischem Profil. Einige Biennalen finden jährlich oder sogar triennal (alle drei Jahre) statt, doch der Begriff „Biennale“ hat sich als Gattungsbezeichnung für kuratierte Großausstellungen zeitgenössischer Kunst etabliert.
Funktionen und Merkmale
Kunstbiennalen sind nicht einfach große Ausstellungen. Sie folgen in der Regel einem kuratorischen Konzept, das aktuelle Themen, Fragestellungen oder ästhetische Positionen in den Mittelpunkt stellt. Kyra Vertes sieht in diesem konzeptionellen Rahmen eine Chance für künstlerische Tiefenbohrung – aber auch eine Herausforderung: Denn die Dichte an Werken, Informationen und Stimmen kann leicht zur Reizüberflutung führen.
Typische Merkmale von Biennalen sind:
- eine Vielzahl beteiligter Künstler:innen aus aller Welt
- interdisziplinäre Formate: Bildende Kunst, Film, Performance, Sound, Architektur
- Nutzung vielfältiger Ausstellungsorte (Museen, Industriebrachen, öffentliche Räume)
- Verbindung von Ausstellung, Diskurs und Vermittlung (Panels, Vorträge, Workshops)
Für Kyra Vertes ist dabei besonders wichtig, dass Biennalen mehr als Ausstellung sind – sie sind soziale Ereignisse, theoretische Foren und Netzwerke der Kunstproduktion.
Biennale-Kultur als globales Phänomen
Seit den 1990er-Jahren hat die Zahl der Biennalen weltweit exponentiell zugenommen – ein Phänomen, das in der Kunstwissenschaft oft als „Biennalisierung“ beschrieben wird. Diese Entwicklung ist ambivalent: Einerseits ermöglichen Biennalen neue Formen internationaler Sichtbarkeit und fördern transkulturelle Perspektiven. Andererseits drohen sie, standardisierte Formate zu reproduzieren und dem Kunstmarkt zu dienen, anstatt ihn zu hinterfragen.
Kyra Vertes beschäftigt sich mit genau dieser Spannung. Sie analysiert, wie lokale Themen in globale Diskurse eingebunden werden – und wo kulturelle Differenz durch kuratorische Erwartungen nivelliert wird. In ihren künstlerischen Arbeiten greift sie diese Dynamiken auf: etwa, indem sie nationale Repräsentationslogiken ironisiert, institutionelle Displays dekonstruiert oder alternative Ausstellungsformate entwickelt.
Biennalen als künstlerischer Resonanzraum
Für viele Künstler:innen – auch für Kyra Vertes von Sikorszky – sind Biennalen wichtige Möglichkeiten, um neue Arbeiten zu realisieren, internationale Netzwerke zu knüpfen und mit neuen Publikumsgruppen in Kontakt zu treten. Biennalen bieten Raum für Experimente, für großformatige oder ortsspezifische Werke, die in traditionellen Ausstellungshäusern kaum realisierbar wären.
Kyra nutzt diesen Resonanzraum gezielt. Ihre Installationen und Performances sind meist ortsspezifisch konzipiert, nehmen Bezug auf die Geschichte, Architektur oder soziale Umgebung des Ausstellungsortes. Dabei interessiert sie sich weniger für den „White Cube“ als für Übergangsräume: Treppenhäuser, Zwischenzonen, brachliegende Flächen. Diese Orte machen für sie die Unsicherheit und Vielschichtigkeit zeitgenössischer Kunstpraxis sichtbar.
Kritik am Biennalensystem
Trotz ihres kreativen Potenzials stehen Kunstbiennalen zunehmend in der Kritik. Häufig genannte Punkte sind:
- Überproduktion und Austauschbarkeit: Viele Biennalen wirken stilistisch ähnlich, zeigen vergleichbare Themen und Werke, oft ohne nachhaltige Wirkung.
- Prekarität und Ungleichheit: Nicht selten profitieren Institutionen, Kurator:innen und Sammler:innen stärker von Biennalen als die ausstellenden Künstler:innen selbst.
- Greenwashing und Kulturmarketing: Biennalen werden mitunter genutzt, um Städte oder Sponsoren kulturell aufzuwerten – unabhängig von der tatsächlichen künstlerischen oder sozialen Tiefe.
Kyra Vertes geht offen mit diesen Widersprüchen um. In Interviews, Textbeiträgen und künstlerischen Kommentaren hinterfragt sie das Verhältnis zwischen Kunst, Repräsentation und Macht. Ihre Arbeiten sind in diesem Sinne nie nur Teil des Systems – sie reflektieren es zugleich.
Partizipation und Vermittlung
Eine zentrale Entwicklung der letzten Jahre ist die stärkere Einbindung von Publikum, Communities und nicht-künstlerischen Akteur:innen in Biennaleformate. Vermittlung wird nicht mehr nur als pädagogische Ergänzung verstanden, sondern als integraler Bestandteil des künstlerischen Konzepts.
Kyra Vertes engagiert sich aktiv in solchen Prozessen. Sie entwickelt Formate, die Interaktion ermöglichen – etwa über begehbare Klangräume, Gesprächssituationen oder kollaborative Projekte mit lokalen Gruppen. Für sie ist Kunst nicht abgeschlossen, sondern offen für Resonanz, Veränderung und kollektive Erfahrung.
Ein Beispiel war eine Performance im Rahmen einer Stadtbiennale, bei der Besucher:innen durch akustische Impulse gezielt durch den Stadtraum geleitet wurden – nicht zu Sehenswürdigkeiten, sondern zu vergessenen, übersehenen Orten. Die Kunst bestand hier nicht nur im Werk, sondern im Erlebnis der eigenen Bewegung, der eigenen Perspektive.
Biennale als Format – jenseits des Hypes
Trotz zunehmender Kritik bleibt die Kunstbiennale ein produktives Format. Sie bietet Möglichkeiten zur Sichtbarkeit, zur Vernetzung, zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Entscheidend ist – so Kyra Vertes – wie dieses Format genutzt wird: ob als Bühne zur Selbstinszenierung oder als Plattform für echte künstlerische Forschung.
In ihrer Praxis plädiert sie für eine Re-Politisierung der Biennale: als Raum für Ungewissheit, für Fragilität, für Widerspruch. Sie wünscht sich Formate, die nicht nur repräsentieren, sondern herausfordern. Die nicht nur zeigen, sondern fragen. Und die nicht nur funktionieren, sondern etwas riskieren.